"Das Kapital ihrer Kurzgeschichten ist Vera Henkels hinreißender Blick für die skurrilen Momente des Alltags. Es schenkt wundersame Assoziationen, wie sie mit innerer Distanz auf Naheliegendes schaut. Außerdem erhöht sie den Kopfkinogenuss, indem sie Pointen unerklärt lässt und statt dessen auf die Wahrnehmungsfähigkeit ihrer Leserschaft setzt. ... Unser Lieblingswort zu Vera Henkels Prosa heißt "merkwürdig". Denn zum einen schätzen wir diesen Charakterzug ihrer Situationsbeschreibungen, zum anderen sind ihre Geschichten würdig, bemerkt zu werden."
(Pamela Broszat, 10/18)
„Dies ist mein Schicksal. Ich sehe die Dinge neben den Dingen“, sagt die Erzählerin in einem der rund 70 Kurztexte … Vera Henkel hat einen Blick für die abseitigen Dinge, die lustigen oder auch gar nicht lustigen Abgründe. die Deformationen, das Pech und die Pannen. ... gibt es eine Satire im Ratgeberstil über „Figurprobleme“, etwa wenn „Kinn und Hals eins“ sind; und eine weitere, erfrischend positive, in der ein Vertreter vom „Zoologischen Institut für Tapirverschönerung“ einem Tapir-Ehepaar alle möglichen Operationen aufschwatzen will, aber auf ganzer Linie abblitzt.
Wie das Beispiel zeigt, darf bei Vera Henkel mit manchen Skurrilitäten gerechnet werden, wie auch mit sarkastischen Bosheiten … oder Momenten befreiender Anarchie: Was könnte schöner sein als eine betrunkene Braut namens Mechthild, die die Hochzeitsgesellschaft energisch mit Kaviar bewirft?
(Olaf Cless, 12/18)
„Ein fliehendes Kinn“, Henkels Texte „aus Jahrzehnten“ zeugen gleichfalls von der Fähigkeit, das Große im Kleinen zu finden, Perspektiven zu wechseln und zu ungewöhnlichen Auflösungen zu gelangen. Mit Sprachwitz, überraschender Ironie und Sinn für Wortkunst schildert Henkel ... die Absurdität vieler Alltagssituationen.
Die gebürtige Düsseldorferin hat sechzehn Jahr in der Algarve gelebt, wovon unter anderem der Text „Nacht“ zeugt: Der 900-Seelen-Ort Barao de Sao Joao erweist sich als „Mikrokosmos des Weltenballs“ angesichts der zwischen Pogo und Rock-Schnulzen versammelten Vertreter vieler Nationen. ... Vera Henkel ist eigentlich Diplom-Grafikerin, was sich in den Illustrationen zu vielen ihrer Texte wie auch in der bildhaften Sprache spiegelt. Henkels Arbeiten wurden mit dem Düsseldorfer Dichterpreis und dem Literaturpreis ‚Open Mike‘ für deutschsprachige Literatur-Neuentdeckungen ausgezeichnet. Sie gibt Kurse für Kreatives Schreiben und lehrt, wie man „recherchierend, flanierend, beobachtend“ seine Umwelt erkennen und in Worte fassen kann.
Und wer dabei den Anfang nicht findet, soll ihn am Ende suchen. Das jedenfalls lässt Vera Henkel den Zen-Meister Hai Fung Fo sagen, der den Leser mit verballhornten Redensarten fordert – reiner Nonsens oder doch exakt derselbe Sinn? Eine vergnügliche, auch nachdenkliche Lektüre.
(Henrietta Bilawer, 12/18)