Der Dichter ist von den Handwerkern aus dem Schlaf geschreckt worden. Ist im Schlafanzug zur Tür geeilt und hat zwei Männern in Arbeitslatzhosen geöffnet, die ihn angeblickt haben.
"Oh, vergessen", hat der Dichter gemurmelt und hätte es damit auf sich beruhen lassen, wenn nicht in dem Moment sein Mitbewohner in der Zimmertür gestanden hätte, ebenfalls in Schlafkleidung, ebenfalls um halb neun Uhr morgens noch nachtzerzaust.
"Eine Unverschämtheit!" hat der Mitbewohner gerufen, "Künstler, die sich bis spät in die Nacht förmlich für ihr Werk zerreißen, so früh aus dem Bett zu holen! Wir arbeiten nämlich auch, genauso wie Sie!"
"Ja", haben die vor zwei Wochen angekündigten Handwerker beschwichtigt, "wir stören ja auch nicht lang, wir müssten nur mal eben in Ihrem Zimmer gucken, wo die Kabelanschlussbuxe liegt."
"Wir sehen kein Fern! Das lenkt uns nur ab und unterbindet jegliche Kreativität!" hat der Mitbewohner belehrt, "und außerdem muss ich mich fertigmachen! Gleich ist Pressekonferenz! Pressekonferenz für meine Ausstellung! Die Arbeit ist, auch wenn sich das Ihrereiner nicht vorstellen kann! Bitte kommen Sie ein anderes Mal! Gleich habe ich eine Pressekonferenz!"
SCHMETTER die Tür zu.
Und da standen sie nun, die Telekommunikationsfritzen und der Dichter – verständnislos die einen, ungebeten enttarnt der zweite, und sehr peinlich berührt ...
Anfang August ist der Dichter in Frankfurt am Main gewesen. Er hat dort einen Vortrag gehalten, was ganz gut gelaufen ist, und hat sich danach die Stadt angesehen, also, das Gebiet, das er in der Affenhitze in Sandalen ohne Fußbett hat schaffen können: das Museum für Komische Kunst, in dem gerade eine Traxlerausstellung war, und die Straßen, die sich von dort aus bis zum Bahnhof erstreckten. Asphalt und Beton. Und Spiegelglas, in dem sich das Jungvolk auf seinen leihbaren Elektrorollern quietsch-agil reflektierte, während der einherschlurfende Dichter absichtlich in die entgegengesetzte Richtung blickte. Dort sammelten alte Menschen in große Plastiktütenersatzplastiktaschen leere Flaschen ein, indem sie ihre zerschrundenen Unterarme tief in Mülleimer tauchten. Manchmal hatten sie tatsächlich Glück, das sah der Dichter auf ihren Gesichtern.
Wie war der Dichter endlich froh, den Hauptbahnhof erreicht zu haben! Am liebsten hätte er sich im Wartebereich lang auf drei Stühle gelegt, aber das getraute er sich nicht – ganz im Gegensatz zu einem etwas unsauber wirkenden, jedoch viel mutigeren Herrn ungefähr seines Alters, der plötzlich aus dem Off mit einem beneidenswert gelenkigen Sprung unter die gegenüberliegende Sitzreihe glitt, um dort hingestreckt zu ruhen. Das war natürlich der weitaus bessere Gedanke: wenn etwas Kühlung versprach, dann doch bei diesen Temperaturen der blanke Boden, wenngleich man es mit einem kleinen Kissen sicherlich bequemer gehabt hätte.
Was soll er weiter berichten, der Dichter? Am Ende war er wieder zuhause; auf dem Balkon, über dem Rockkneipebiergarten, mit vielen neuen Eindrücken, im Kopf und an den Zehen.
Der Dichter lebt in einer Stadt, die nicht zu ihm spricht.
Stadt: „Und wie bitte, soll ich das Ihrer Meinung nach tun!?“
Es ist aber auch ein komisches Fleckchen Erde, an dem der Dichter da gelandet ist. Es war der blanken Not geschuldet; der Rotor setzte plötzlich aus, eine lebensrettende Landung war unumgänglich, schließlich schlug man unsanft in einem Acker auf.
Also suchte der Dichter sich eine Bleibe und landete im Hafen. LKWs, Fabrikdämpfe, die Rangiergleise der Industrieeisenbahn direkt vor der Tür.
Eigentlich gar kein so schlechter Ort, dachte der Dichter, besser jedenfalls als im Städtchen, wo die Leute moderngewamst herumgingen und riesige Gegenstände in riesige, wiederverwertbare Taschen luden.
Stadt: „Das sind Einkäufe, Sie Depp!“
Man verständigte sich über kleine, viereckige Kästchen, die man anschließend den Kinder reichte, damit sie sie sauberwischen konnten. Und alle trugen konisch zulaufende Pappröhren in Händen, die sie synchron zu den Lippen führten, so ernährten sie sich.
Stadt: „Und diese Reden sind genau der Grund, warum wir Sie hier nicht wollen! Fliegen Sie wieder dahin, wo Sie hergekommen sind! Wir haben Ihren Hubschrauber repariert! Umsonst – kostet nichts.“
Einmal im Jahr gab es ein großes Fest, auf dem grüne Männer zu Trompetenklang johlend im Kreis marschierten, bräunliche Brühe tranken, sich an Hauswänden erleichterten und von Mädchen geherzt wurden.
Stadt: „Und nachher gibt’s Bratfisch.“
Merkwürdigerweise war das der Grund, warum der Dichter dann schließlich geblieben ist.
Der Dichter hatte Depressionen, nichts Neues, wird seine Leserschaft jetzt sagen, aber da irrt sie sich: die Schwermut hat tausend Gesichter.
Also ist der Dichter ins nahe Einkaufszentrum geradelt, da war er noch nie, aber die halbe Stadt verbringt da ihre aufregendsten Zeiten. Ernsthaft, das steht da: "wir bauen für Sie um, für ein noch schöneres Einkaufserlebnis".
"Einmal sind wir in den Ferien so richtig Shoppen gewesen. Auf vier Etagen. Es war sehr spannend. Erst hat meine Mama für mich und meine kleine Schwester ein Eis geholt. Dann hat sie für sich vier Paar Sommerschuhe mit hohem Absatz geholt, dann hat sich Papa einen Computer geholt, dann habe ich mir von Opas Geburtstagsgeld Kopfhörer geholt, dann haben wir für Oma ein Rosenbadesalz geholt, dann haben wir für uns alle eine neue Sofaecke geholt, dann haben wir für Mia eine Strickjacke mit Puffärmeln geholt, dann hat sich Papa eine Cola und mir eine Limo und Mia einen Kakao und Mama einen Eistee geholt. Danach haben wir drei Hosen, einen Bademantel, ein Buch, ein Handy, fünf CDs, 12 Akkus, einen Wasserkocher, etwas Unterwäsche und eine Puppe geholt. Das war mein schönstes Ferienerlebnis."
Der Dichter hat sich so eine Säge aus dem Internet bestellt – noch immer hält er kurz inne, wenn er sowas erzählt. "Ich habe mir eine Lampe aus der Steckdose bestellt", findet er dementsprechend logisch, macht aber kein Mensch.
Jedenfalls die Säge: "weit verbreitet in Bau, Fest-Deko, Handwerk Verarbeitung, Werbung, Beschneiden Obstbäume und anderen Branchen. Auch ideal zum Wandern, Angeln und andere Outdoor-Freizeitaktivitäten, ein wichtiges Werkzeug für ihre Clan".
Der Dichter wollte eigentlich nur in seiner Schaffenspausen am Brettchen sägen, das entspannt die Nackenmuskulatur, aber nun überlegt er sich ernsthaft, ob er nicht vielleicht die gesamte Kreativ-Schreiben-Branche damit zerlegen sollte – eines sonntagmorgens im Outdoor, unter dem fragwürdigen Schein einer Straßenlaterne, von der soziokulturellen Familie unfreundlich beäugt.
Der Tag beginnt mit Depressionen. Wieder zu spät erwacht!
Obwohl - des Dichters Schlaf gefällt das. Für ihn ist das ein Erfolg, weitab von Trübsal!
"Was für ein angenehmer Morgen!" rief er eben aus.
Der Dichter wollte klagen, ihn mit dem Kissen am Reden zu hindern, jedoch war der Störenfried schneller.
"Wie habe ich geruht! Was habe ich schönes geträumt! Nun einen entspannten Morgenkaffee. Her damit! Was ist zu tun!?"
Dichter: zu viel! Zu spät! Alles hin!
Schlaf: (tret!)
Der Dichter fasst es nicht, sein eigen Fleisch und Blut gibt ihm einen Tritt!